Kreuzfahrt mit der MS Flamenco im August 1999


Gesamter Inhalt: Deutschsprachige Reiseberichte

Von: Edith Graeser

Am Samstagmorgen, dem 14. August 1999, ging es los: Mit dem ICE bis Hamburg und von da zur Einschiffung nach Kiel, das uns mit dicken Wolken empfing, die sich bald entleeren sollten.

Im Hafengebäude, vor dem die "Festival Flamenco" stand, erwartete uns eine lange Menschenschlange mit einem babylonischen Sprachengewirr und empfangen wurden wir mit einer kleinen Erfrischung. Als Jussi die Becher entsorgen ging, schob eine Frau aus unserer Reisegesellschaft ihr Handgepäck schwupp in die Lücke, wo er gestanden war, und bis zum Schalter hatte sie, mit ihrer Freundin im Schlepptau, 7 Personen überholt.

Die Flamenco ist ein 1972 gebautes Schiff mit 7 Decks über dem Wasserspiegel: Im untersten ein Tor und zwischen den Kabinen ein Kinoraum, darüber Innen- und Außen-Kabinen und im Premier-Deck hinter dem Haupteinstieg der Empfang mit Verkaufsraum sowie auch Innen- und Außen-Kabinen, aber nicht mit Bullaugen, sondern mit verschraubten Fenstern. Darüber, hinter den Rettungsbooten, das Restaurant (für das die Passagiere in zwei Schichten eingeteilt waren), im Heck ein durch ein Netz geschützter kleiner Sportplatz und im Bug auch noch ein paar Kabinen. Im übernächsten Deck ein recht großer Saal für Vorführungen, Bar, Spielcasino und Fotoladen. In diesem großen Saal fand auch die Rettungsübung statt. Im vorletzten Deck mit Außen-Schwimmbecken wurde das Frühstücksbuffet angeboten, im Restaurant unten konnte man sich bedienen lassen. Im obersten Deck befand sich auch eine recht große Bar. Dort, über der Brücke war die für die Passagiere zugängliche offene Bug-Terrasse. Hinter den genannten Räumlichkeiten waren in allen drei Decks mehr oder weniger windgeschützte offene Terrassen bzw. Sonnendecks.

Die Flamenco selbst ist 163 m lang, 22,5 m breit, wiegt 17.000 BRT, hat 4 Aufzüge und 392 Kabinen für ca. 800 Passagiere, die von 360 Besatzungsmitgliedern betreut werden. Sie ist ein italienisches Schiff mit Lire als Zahlungsmittel, ist in Nassau auf den Bahamas zugelassen, der Kapitän sowie die meisten der Offiziere sind Griechen, und die übrige Crew kommt aus der ganzen Welt, vor allem wohl aus Asien. Daraus folgt, daß dieses immer freundliche Personal schlecht bezahlt und nicht versichert ist, so daß manche davon eines Tages, ähnlich wie der ehemalige Seemann in Stuttgart, als Sozialhilfeempfänger auf der Straße die Obdachlosenzeitung verkaufen muß.

Unsere vollklimatisierte Kabine war recht eng, wir konnten aber trotzdem all unser umfangreiches Gepäck gut unterbringen. Sogar ein kleiner Schreibtisch befand sich darinnen. Dazu ein einziger Stuhl, so daß sich einer von uns auf sein Bett setzen mußte. Die Dusche hatte nicht die modernsten Armaturen, diese waren aber "Einhand" und funktionierten. Die offene Tür konnte und sollte man aus Sicherheitsgründen an der Außenwand festklemmen. Die Kabinentür ging dann auf mit Millimeterabstand. An der Schrankwand, mit Sicht von den Betten, war ein Fernseher angebracht. Auf vier verschiedene Programme konnte man schalten, davon zwei funktionierende, mit denen wir jedoch nichts anfangen konnten. In der Kabine war auch ein Lautsprecher. Anfangs übertrug er Nachrichten, später hörte man nur einen vom Gang.

Kaum hatten wir uns einigermaßen eingerichtet, legten wir bei zunehmendem Regen ab, und alle mußten mit ihren Schwimmwesten zur Rettungsübung. Auf meine Frage, wie wir im Ernstfall zu unseren Schwimmwesten kommen sollten, wenn wir nicht mehr in unsere Kabine könnten, erhielt ich keine befriedigende Antwort.

Nicht zu spät nach dem Abendessen, das leger stattfand und zu dem uns unsere Stammplätze an einem Tisch mit zwei auch nicht mehr ganz jungen Paaren zugewiesen worden waren, zogen wir uns in unsere Kabine zurück. In der abendlichen Stille verstärkten sich die Motorengeräusche und das leichte Schlingern des Schiffes. So stellte ich mir das Schlafen in einer Wiege vor, in der mir Schlafliedchen vorgesummt würden.

Den ganzen Sonntag verbrachten wir auf "hoher" See, denn die Entfernung bis Flam im Sognefjord war doch beachtlich. Nach dem Frühstück klarte es auf und wir konnten die glänzende, unendliche See und den Himmel von den verschiedenen Decks aus bewundern und genießen. Unentwegt durchpflügten wir das beinahe spiegelglatte Wasser, eine schäumende weiße Schaumspur hinter uns lassend. Ohne Sicht auf Land beobachtete ich längere Zeit einen Vogel, der immer neben uns her flog, bevor er in Richtung Küste verschwand. Ein einziges Mal an diesem Tag, als ich im Bug hinter dem sich pausenlos drehenden Radar stand und mich durchblasen ließ mit hochgezogener Kapuze, dachte ich an meine wasser- und winddichte Gore-Tex-Hose, die ich mir nur in der Kabine hätte holen müssen. Am frühen Nachmittag kam im Osten die norwegische Küste in Sicht erst als schmaler Streifen, und der verbreiterte sich immer mehr. Bald waren Segelboote zwischen und Siedlungen auf den Schären zu erkennen. Den Sonnenuntergang widerspiegelte das Meer in breiter Bahn, dessen Rot nach Nord und Süd zu in tiefes Schwarz überging. Zu der Zeit erkannte man die Boote und Siedlungen leider nur noch als Lichtpunkte, und durch den Fjord fuhren wir während der Nacht.

Von Flam aus fuhren wir am Montag mit der Flam-Bahn ins Gebirge, wo uns in einem Hotel in Myrdal ein herrliches Mittagsbuffet erwartete, an dem man sich mit den verschiedensten Fischen, und sogar Krebsen, nach Herzenslust wieder übersattessen konnte. Danach ging es mit einem Bus in die Berge mit Halt an einem größeren Wasserfall, dem Jungbrunnen-Wirkung nachgesagt wird. Später hatten wir von einer Hotelterrasse aus eine prächtige Aussicht ins Tal, von wo sich Autos die steile Straße zu uns heraufquälten. Diese Serpentinen fuhren wir anschließend hinunter. Unten stand ein deutscher Bus, dessen Fahrer auf Hilfe zum Hochfahren wartete.

Am Nachmittag ging es nach Gudvangen, wo uns die Flamenco wieder erwartete. So konnten wir jetzt die Fahrt durch den Fjord bis zum Dunkelwerden genießen und die senkrecht abfallenden Felsen und unzähligen Wasserfälle bestaunen.

Am Dienstag erwachten wir in Geiranger. Die meisten Passagiere waren bereits um 7 Uhr morgens für einem Tagesausflug bei einem anderen Ort ausgeschifft worden. Unsere Gruppe mußte bis nach dem Mittagessen auf das "Tendern" warten. Es ging problemlos, sogar über eine Brücke, die zwischen unserem untersten Deck und dem Tender angebracht war. Beim Passieren unseres Tores mußten wir Größeren nur sehr auf unsere Köpfe achten.

Zum Kaffeetrinken wurden wir zu einem Gasthaus in 1000 m Höhe gebracht mit Blick auf einen See und nahe weißgrüne Gletscher, die fast abzubrechen schienen. Von da aus fuhren wir durch eine Maut über eine halsbrecherische Straße zum 1476 m hohen Dalsnibba, der eine berauschende Sicht auf die umliegenden Berge, Gletscher und den Geiranger-Fjord bot, welcherer ganz tief unter uns lag. Noch ein Halt an einem Aussichtspunkt knapp über Geiranger, bevor wir wieder eingetendert wurden. Bevor es dunkel wurde, ging es an den 7 Schwestern und vielen anderen Wasserfällen und Bilderbuchansichten den Fjord hinaus.

Bergen erreichten wir am Mittwoch. Dort soll es meistens regnen. Als wir da waren, schien jedoch die Sonne. Das Grieg-Museum wurde uns gezeigt und vor allem das Viertel, das von der deutschen Hanse bewohnt worden war. Die sehr kompetente Stadtführerin fragte ich nach Knut Hamsun und in welcher Gegend Norwegens sein Roman "Die gute Erde" spielte. Sie spielte in Nordnorwegen und mit Hamsun selber hätten die Norweger ein Problem, weil der Hitler-Anhänger gewesen sei. Noch im Mai 1945 habe er einen freundlichen Nachruf auf Hitler geschrieben. Deshalb werde Hamsun totgeschwiegen. - Um Mitternacht wurde ein Galabuffet geboten, für das es eine Viertelstunde vorher einen Fototermin gab, den die meisten nutzten. Leider hatten wir nicht genug Hunger für die vielen herrlichen Speisen.

Am Donnerstag hatten wir eine Führung durch Oslo. Dort ist die wohl größte Attraktion der Vigeland-Park. Gustav Vigeland war Bildhauer und lebte vom 11. April 1869 bis 12. März 1943. Im Frogner-Park, wie er ursprünglich hieß, sind seine etwa 100 Figuren oder Figurengruppen zu bestaunen. Sie stellen das menschliche Leben dar von vor der Geburt bis zum hohen Alter und zum Tod. Alles gekrönt von einem 17 m hohen Monolithen, der von unten bis zur Spitze und rundherum mit menschlichen Figuren versehen ist. Verliebt habe ich mich dort in den "Trotzkopf": ein etwa zwei Jahre alter Bub mit einem wutverzerrten Gesicht, geballten Fäusten und mit dem rechten Bein stampfend.

Abends war eleganter Kapitäns-Empfang. Während der Kapitän jeden Gast mit Handschlag begrüßte, wurde professionell fotografiert, aber nicht nur da. Meistens am nächsten Tag waren die Fotos ausgestellt und man konnte sie, nicht ganz preiswert, erstehen. Gegen Ende des Abendessens begann das Schiff immer mehr zu schaukeln und in die Treppengeländer waren vorsichtshalber Spucktüten geklemmt. Dabei wirkte die See, wie sonst auch, spiegelglatt. Tatsächlich waren da und bereits am Samstag oder Sonntag einige Leute, auch aus unserer Reisegruppe, seekrank geworden. Wir nicht. Wir konnten sogar beim Mitternachtsbuffet vorsichtig und folgenlos schlemmen.

Am Freitagnachmittag folgte eine Stadtrundfahrt durch Kopenhagen. Am Abend beim Packen: Meinen gelben Anorak habe ich im Bus vergessen! Bei der Rezeption wurde meine Verlustmeldung zur Kenntnis genommen. Nun, der Anorak war alt und schon recht schäbig, wenn auch wegen seiner Zweckmäßigkeit geschätzt. Schlimmer wäre es gewesen, wäre mein Rucksack mit Geldbeutel, Kameras, Fernglas und Papieren abhanden gekommen. Doch die Reiseleiterin hatte den Anorak zusammen mit anderen Gegenständen, die im Bus zurückgeblieben waren, eingesammelt.

So konnten wir am Samstag endgültig von Bord gehen. Jussi hatte unterwegs unseren Reiseleiter gefragt, ob er auch so wie manche anderen Reisebüros monatelange Kreuzfahrten um die ganze Welt anböte. Darauf erzählte er, daß er drei Weltreisen betreut habe. Durch die Enge eines Schiffes würden die Fahrgäste mit der Zeit immer aggressiver und frustrierter, was fast in Mord und Totschlag ausarten würde. So weit war es mit uns während dieser einen Woche nicht gekommen. Wir konnten uns von allen, mit denen wir in Kontakt gekommen waren, freundlich verabschieden und mit schönen Erinnerungen nach Hause gehen.

E-Mail: Edith Graeser



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